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Drupal, Open Source und die Frage nach Meinungsfreiheit

Sven E.
Sven E., Geschäftsführung
4 Mai 2017
Drupal, Open Source und die Frage nach Meinungsfreiheit

Das Drupal Drama

Auch, wenn die Welt der Software für Laien oft als trocken und langweilig gilt, schreibt das Leben manchmal auch in dieser Branche äußerst kuriose Geschichten. Eine dieser Geschichten spielt sich gerade seit einigen Wochen in der Entwicklerwelt von Drupal ab, neben dem bekannteren Konkurrenten WordPress die wichtigste Content Management Software zur Webseiten-Erstellung.

Genauso wie bei WordPress handelt es sich auch bei Drupal um ein klassisches Open-Source-Projekt, was bedeutet, dass der Quellcode der Website offen im Internet verfügbar ist und von jedermann und jeder Frau heruntergeladen, verändert und dadurch weiterentwickelt und verbessert werden darf.

Genau in dieser Tatsache liegt die große Stärke von Drupal: Die Entwickler Community gilt als offen, vielfältig, inklusiv und dabei noch – oder vielleicht gerade deshalb – als äußerst effektiv und innovativ. Das alles sind Attribute, die dazu beitragen, dass Drupal-Nutzer das Beste aus ihren Projekten herausholen und sie optimal an ihre individuellen Bedürfnisse anpassen können.

Seit einigen Wochen gibt es allerdings Ärger im Software-Paradies: Zahlreiche Entwickler drohen damit, Drupal den Rücken zu kehren und nicht mehr länger unentgeltlich an der Verbesserung des Programms zu arbeiten – es sei denn, die fristlose Trennung von Larry Garfield, einem langjährigen und in vielen Bereichen federführenden Entwickler der Drupal-Community, wird rückgängig gemacht.

Der Grund für diesen Konflikt im Drupal-Führungskreis, der schließlich zum Eklat mit Garfield geführt hat, ist kontrovers diskutiert und, wie bereits eingangs im Artikel erwähnt, durchaus kurios: Garfields unkonventionelles Sexleben.

Wie zu Beginn des Jahres bekannt wurde, ist Garfield in seinem Privatleben in der BDSM- und Gor-Szene aktiv, wobei letztere von ihren eingefleischten Befürwortern auch oft als „Lebensstil“ bezeichnet wird.

Während die BDSM-Subkultur den meisten Menschen noch ein Begriff ist, werden viele den Begriff der „Gor-Gesellschaft“ zum ersten Mal hören. Kurz gesagt handelt es sich bei der goreanischen Lebensweise um ein einvernehmliches sexuelles Rollenspiel, das auf John Normans Science Fiction-Romanreihe „Gor“ basiert. Laut diverser Quellen entwickelte Norman seine goreanische Philosophie bewusst als Gegenentwurf zum in den 1970er Jahren aufkommenden Feminismus.

Im Vordergrund steht dabei die Idee der sexuellen und anderweitigen Unterwerfung, und zwar in den allermeisten Fällen mit der Frau in der Rolle der rechte- und besitzlosen Sklavin und dem Mann als ihrem allmächtigen Herrn.

Körperliche Gewalt und Missbrauch gegenüber den Sklavinnen gelten in den Büchern von Norman als normal und gerechtfertigt. Vorstellungen, die natürlich völlig unvereinbar sind mit einer zeitgemäßen Weltanschauung, die nicht einmal unbedingt dezidiert feministisch sein muss, sondern einfach nur Wert auf Gleichberechtigung legt, und die den Gor-Anhängern dementsprechend regelmäßig harsche Kritik von allen Seiten einbringen.

Dries Buytaert, CTO von Acquia und Markeninhaber von Drupal, hat in der Zwischenzeit erklärt, dass er Garfield nahegelegt hat, Drupal den Rücken zu kehren, “da ich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass er Ansichten vertritt, die im Widerspruch zu den Werten des Drupal-Projekts stehen.“

Seine Entscheidung hat Buytaert in einem Blogpost näher erklärt, worin er angibt, er sei „zugleich schockiert und besorgt gewesen“, dass eine Person, mit der er so eng zusammengearbeitet hat, in ihrem Privatleben solchen Fantasien nachgeht. Er merkte außerdem an, dass er davon überzeugt ist, dass „alle Menschen gleichberechtigt geboren werden“ und dass er „nicht guten Gewissens jemanden unterstützen kann, der aktiv eine Philosophie propagiert, die dem widerspricht“.

Nachdem Garfield öffentlich für seine Vorlieben geoutet wurde, veröffentlichte er einen selbstironischen Blogpost mit dem Titel “TMI about me” (zu Deutsch: „Zu viel Information über mich“), um seinen selbstgewählten Lebensstil ausführlicher zu beschreiben und sich über Buytaerts Reaktion auszulassen.

„Dries wollte nicht nachgeben, was mein Gehen betrifft, unter anderem hat er klargestellt, dass mein Abgang keine Option ist, sondern eine Anweisung[…] und hat mich dann darüber informiert, dass ich meine Position als Track Chair und meine Rolle als Sprecher auf der DrupalCon mit sofortiger Wirkung aufzugeben habe“, berichtete er.

Bezugnehmend auf Drupals hauseigenen Verhaltenskodex gegen Mobbing, der in dieser Sache gegen ihn angewendet wurde, behauptet Garfield, dass ironischerweise er Opfer geworden sei von „Mobbing, Schikane und Ausgrenzung aufgrund meiner privaten, persönlichen Aktivitäten, die ich niemals öffentlich gemacht und schon gar nicht in Tech-Kreisen angepriesen habe“.

Die Community schlägt zurück

Große Teile der Drupal-Gemeinschaft, bestehend aus Entwicklern, Committern und Gründern, sind empört über die – ihrer Meinung nach – drastischen Maßnahmen, die gegen Garfield ergriffen wurden. Gemeinsam wurde ein offener Brief an Dries Buytaert verfasst, in dem Garfields Unterstützer damit drohen, das Open-Source-Projekt nicht länger zu unterstützen, sollte Garfield nicht unverzüglich zurückgeholt werden.

In diesem Brief wird die Diskriminierung gegen Garfield scharf zurückgewiesen und seine Befürworter betonen, dass die Drupal-Gemeinschaft seit jeher Anhänger alternativer Lebensentwürfe offen willkommen geheißen hat, darunter auch Menschen mit ausgefallenen sexuellen Vorlieben, wie z.B. BDSM.

“Unsere Bedenken in dieser Sache machen uns nicht automatisch Pro-Larry – wir befürworten seine Überzeugungen und seine Entscheidungen in seinem Privatleben nicht – allerdings treten wir aus vollster Überzeugung dafür ein, dass Offenheit, Transparenz, ordnungsgemäße Verfahren, Fairness, Inklusivität, Vielfalt etc. ihren Platz behalten müssen, dass das Privatleben der Mitglieder die Führungsriege von Drupal nichts angehen und dass eine gewisse Professionalität in der IT-Welt aufrechterhalten bleiben muss; gleichzeitig sprechen wir uns vehement gegen Diskriminierung, Belästigung, Einschüchterung, Mobbing, Doxing, geheime Eilverfahren und das Recherchieren von persönlichen Informationen aus dem Privatleben von Mitgliedern aus.

An diesem Tag und aufgrund unserer großen Bedenken machen wir uns hier gemeinsam stark, um zu betonen, dass die diskriminierenden Verhaltensweisen, die wir hier beobachten konnten, in der Drupal-Gemeinschaft keinen Platz haben. 

Wir machen uns gemeinsam stark und fordern, dass die Drupal-Gemeinschaft sämtliche geltenden Standards der Professionalität aufrechterhält, darunter fällt insbesondere: Keine Diskriminierung aufgrund von Äußerlichkeiten, aufgrund von Überzeugungen und Weltanschauungen und keine Diskriminierung aufgrund der privaten Entscheidung von Mitgliedern, wie und mit wem sie rechtmäßig, einvernehmlich und friedlich ihr Privatleben gestalten – selbst und vor allem in Fällen, in denen das Privatleben einer Person nicht dem Mainstream entspricht oder von anderen Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft sogar als anstößig betrachtet werden könnte“.

Die Drupal-Gemeindemitglieder stellen damit unmissverständlich klar, dass sie dem Open-Source-Projekt den Rücken kehren werden, sollte Garfield nicht unverzüglich wiedereingesetzt werden.

“Wenn ihr nicht um uns kämpft und unser Vertrauen in die Professionalität der Drupal-Gemeinschaft wiederherstellt, werden viele von uns das Drupal-Projekt dauerhaft verlassen, wir werden sämtliche Beiträge zur offiziellen Codebase mit dem Drupal-Markenzeichen einstellen und wir werden nicht mehr länger an Drupal Communitys aller Art teilnehmen.

Diese Vorgehensweise ist nicht unsere erste Wahl, allerdings können und wollen wir uns nicht länger in einer Gemeinschaft einbringen, die Diskriminierer dazu ermutigt, aus persönlichen oder ideologischen Gründen das Leben und die Karriere eines anderen Menschen zu zerstören“.

Diese Geschichte hat sich vor knapp einem Monat ereignet. Die Führungsriege von Drupal hat ihre Entscheidung beibehalten und hat Larry nicht zurückgeholt – ob die Mitglieder der Drupal-Gemeinschaft ihre Drohungen wirklich wahrmachen werden, bleibt abzuwarten. Innerhalb der Community diskutiert man mittlerweile über den richtigen „Code of Conduct“ und effektive Kommunikation, sollte es in Zukunft zu ähnlich kontroversen Situationen kommen. Was den konkreten Konflikt um Larry Garfield betrifft, macht es den Anschein, als hätten sich die Wogen wieder gelegt und als wären alle Beteiligten und Interessierten mittlerweile wieder zur Tagesordnung zurückgekehrt.

Unser Senf dazu: Leben und Leben lassen!

Warum wir uns trotzdem dazu entschieden haben, diese Geschichte im buzzwoo-Blog aufzugreifen, obwohl doch alles schon vorüber ist? Diese Entscheidung ist einfach erklärt: So seltsam und skurril diese Geschichte zu Beginn erscheint, so dringend und wichtig sind gleichzeitig auch die gesellschaftspolitischen Fragen, die sie aufwirft und dazu möchten wir Stellung beziehen.

Denn viele der Details in dieser Geschichte sind symbolhaft für die großen Veränderungen und großen Fragen unserer Zeit. Von gesamtgesellschaftlicher Relevanz sind hier nämlich gleich zwei verschiedene Aspekte und wir alle sind dazu gezwungen, uns damit auseinanderzusetzen, welchen Standpunkt wir in diesen Bereichen einnehmen.

Der erste Aspekt, der unserer Meinung nach genauerer Diskussion bedarf, lässt sich mit den Schlagworten „Gläserner Mensch“, „Soziale Netzwerke“ und „Shitstorms“ umreißen. Wir alle sind heutzutage im Internet präsent und achten dabei mehr oder weniger penibel darauf, dass unsere Privatsphäre geschützt bleibt. Doch oftmals gelingt uns das nicht – selbst, wenn wir wollten, wie sich am Beispiel Garfields anschaulich zeigt. Die Informationen über Garfields Privatvorlieben kamen zutage, weil ein anderes Mitglied über seine Beiträge in einem einschlägigen Forum gestolpert war.

Diese Informationen wurden bewusst und unrechtmäßig weiterverbreitet, was schließlich in einer Schmutzkübel Kampagne gegen Garfield ausartete. Auch wenn Shitstorms wohl ihre Berechtigung haben mögen, um unmoralische Handlungen von Unternehmen anzuprangern, handelt es sich klar um Mobbing, wenn die Angriffe gegen eine einzelne Person gerichtet sind. Das Schlimmste daran? Alles ist öffentlich. Und auch, wenn die Verursacher des Shitstorms oder des Cybermobbings wohl schon nach kurzer Zeit nicht mehr daran denken werden, vergisst das Internet selbst nichts – wodurch die Leben und Existenzen der Betroffenen selbst und im schlimmsten Fall auch jene ihrer Familien zerstört werden können.

Der zweite relevante Aspekt befasst sich konkreter mit dem Eklat um Larry Garfield, nämlich mit der Frage nach Liberalität und einer offenen Gesellschaft im Kontrast zu einer feministischen Weltanschauung und in weiterer Folge der Frage, ob die Kündigung Garfields gerechtfertigt war oder nicht.

In der Buchvorlage werden die Herren –und Sklaven-Beziehungen in der Gor-Welt, der sich Garfield zugehörig fühlt, ohne Konsens ausgelebt, porträtieren also eine klare Hierarchie und ein dramatisches Machtgefälle. Klarerweise lässt sich diese Weltanschauung in einer modernen Demokratie mit einer dementsprechenden Jurisdiktion nicht originalgetreu ausleben, dieser Aussage wird auch die gravierende Mehrheit der männlichen und weiblichen Gor-Anhänger zustimmen.

Gleichzeitig gilt, dass die Tech-Welt traditionell eine frauenfeindliche ist, daran besteht kein Zweifel. Andererseits galt gerade die Drupal-Community als ein Ort, an dem die übliche Geschlechterdiskriminierung zumindest zum Teil niedergerissen wurde.

Die Drupal-Community galt als inklusiv und gleichberechtigt, nicht nur für Männer, ungeachtet ihrer Interessen und Herkunft, sondern eben auch für Frauen. Laut der Spekulation vieler User lässt sich die kontroverse Entscheidung des Drupal-Führungsgremiums auf die Furcht zurückführen, wie die Frauen innerhalb der Drupal-Community auf Garfields Privatvorlieben reagieren könnten, nun da sie unglücklicherweise bekanntgeworden sind.

Eine der großen Debatten des zeitgemäßen Feminismus dreht sich um das Schlagwort Konsens, manchmal auch Zustimmungsprinzip genannt, das eine eindeutige und informierte Zustimmung beider beteiligter Personen vor sexuellen Handlungen einfordert.

Durch dieses Prinzip soll vor allem erreicht werden, dass Frauen vor unerwünschten sexuellen Handlungen von Männern geschützt werden: Einerseits, indem Männer dafür sensibilisiert werden, nicht einfach anzunehmen, dass die Frau wohl schon einverstanden ist und andererseits indem sich die Frauen bewusst machen, dass es völlig in Ordnung ist, Nein zu sagen, wenn man mit einer Sache nicht einverstanden ist.

In diesem Fall um Larry Garfield wird aber auch andersrum ein Schuh draus: Auch wenn der goreanische Lebensstil und die dahinterstehende Weltanschauung in der Buchvorlage die Haare eines jeden Feministen und einer jeder Feministin völlig zu Recht zu Berge stehen lassen, muss auch erwähnt werden, dass Gor-Anhänger ihre sexuellen Vorlieben im echten Leben als eine Art Rollenspiel ausleben, wobei ein strenger Verhaltenskodex gilt, der absoluten Konsens vorschreibt – wie auch Garfield in seiner Reaktion auf seinem Blog betont.

In diesem Fall werden auch eingefleischte Feministen und Feministinnen zugeben müssen, dass es jedem Mann und jeder Frau selbst überlassen bleiben muss, ob er/sie eine derartige Beziehung eingehen will oder nicht – solange alle Beteiligten umfassend informiert sind und den zuvor gemeinsam vereinbarten Parametern dieser zwischenmenschlichen Beziehung ohne jeglicher Art von Zwang zustimmen. Die persönliche Freiheit ist in einem derartigen Fall höher zu bewerten als jede noch so gutgemeinte feministische Repräsentation.

Solange es also keine konkreten Beweise dafür gibt, dass Larry Garfields private Beziehungen in irgendeinem Aspekt nicht auf absolutem Konsens aller Beteiligter beruhen (und derartige Beweise sind bisher alle Beteiligten schuldig geblieben), sollte Garfield wiedereingesetzt werden.

In diesem Zusammenhang fällt uns zum Abschluss auch noch eine ähnliche Geschichte ein, die schon weiter zurückliegt, aber einen ähnlichen Beigeschmack hat: Nämliche jene des britischen Mathematikers Alan Turing, der heutzutage ein gefeierter Held ist, zu Lebzeiten aber aufgrund seiner sexuellen Orientierung schlimmster Diskriminierung ausgesetzt war – was diese beiden Geschichten miteinander zu tun haben könnten, dazu darf sich jeder selbst seinen Teil denken.

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Mucki

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